Kreatives Schreiben

Ergebnisse des Kurses „Kreatives Schreiben“ bei Frau Dr. Czens

Hier finden Sie eine Auswahl der bemerkenswerten Produkte des Schreibkurses von Frau Dr. Czens im Schuljahr 2019/20:

Paula Focke:   Verben und ihre Präfixe

Nur durch Besetzen der Häuser

Und das Durchsetzen der Stillen

Schrumpft das Entsetzen der Leute

Über das Absetzen ihres Willens

Gesetze ersetzen

Und dann umsetzen

Irgendwo müssen wir ansetzen

Und jemanden absetzen

Frederik ist noch weggetreten von der gestrigen Nacht. Die vielen Schnäpse kann er heute nicht mehr vertreten, betreten sah er sich im Spiegel an. Doch die heutige Devise lautet: Antreten. Schließlich tritt er heute in den Dienst des Bundessoldaten. Vortreten, Kamerad. Nachtreten, immer auf den Magen. Abtreten und Ruhe. Frederik schluckt. Seit gestern ist etwas in ihm angeregt. Sein Bewusstsein tritt selten um diese Uhrzeit schon in Erscheinung. Erneutes Schlucken. Kräftige durchtretende Stiefel auf Knochen, zertretene Werte. Worein ist er hier nur getreten? Seine Stiefel stinken nach zertretener Hundescheiße.

Paula Focke:    Die Welt keucht

Die Bäume stöhnen. Es ist so heiß, so unfassbar heiß. Das rumorende Flirren lässt ihre Sicht verschwimmen. Stehen und warten, heißt stehen und sterben. Die Erinnerung an ihr friedvolles grünes Zusammenleben ist überdeckt von hungrigen Realität. Verwirrtes Stöhnen und vereinzelte kreischende Schreie der berstenden Rinde durchbrechen das Flüstern des Feuers. Alle Wurzeln sind geschützt, umarmt von der schwarzen Erde. Die Arme und der Torso ebenso schwarz und schmerzend, doch die Beine sind sicher. Und fest verankert, noch nie bewegt, noch niemals daran gedacht, sie zu bewegen. Weggehen, fliehen, rennen, tanzen.

Die Bäume wiegen sich im Wind der dunklen Nacht. Ihre Baumkronen atmen die klare Nachtluft und rascheln und rufen nach Hilfe. Doch niemand kommt.

Die Tiere sind fort. Sie führen ihr Nomadendasein nun woanders.

Die Menschen schauen zu. Sie haben das Feuer gelegt.

Und die Welt keucht mit den Bäumen. Die Luft wird dünner und der Planet öffnet seine Lungen, nur um den Stickstoff noch tiefer einzuatmen.

“Wir müssen fliehen, Rindentrott!”, ächzte der hübsche, wenn auch etwas verkohlte Baum, östlich des verdurstenden Flusses des Lebens, “sonst ergeht es uns, wie den Freunden der Delegation des Nordens. Keiner mehr da, du kennst die Geschichte.”

“Geduld, Flunz.”

“Worauf willst du warten? Darauf, dass unsere Wurzeln sich allein erheben?”

“Darauf, dass der Glaube uns durchflutet, Flunz.”

“Der Glaube, der Glaube…Vielleicht müssen wir auch einfach mal glauben, damit dieser Glaube uns “durchflutet”?”

“Bleib ruhig, Freund.”

“Mir ist heiß!”

Rindentrott reckte seinen Ast in Richtung Flunzes verrußten Stämmchens.

“Du bist jung. Die Feuer verlieren ihren Atem. Bleib ruhig und warte ab.”

Der junge Baum namens Flunz ließ ein Grunzen von sich und brummelte weiter in seine Borke.

“Abwarten. Bis diese nackten Erdnuckel jeden Einzelnen von uns verbrannt oder zerstückelt haben…. Ich kann das nicht weiter mit ansehen.”

Seine Stimme erhob sich und schallte über das Feuer. Die schwitzenden Bäume um den Fluss horchten auf.

“In den Krieg sollten wir ziehen, Freunde. Wir sollten gehen, spazieren, marschieren für unsere Freiheit und die Freiheit unserer Sprösslinge. Ich sage es euch: Unsere Größe wird diesen Menschen den Atem rauben, unsere Borke wird uns vor ihren Metallkapseln schützen und wir werden sie zertreten. Jeden Einzelnen! Glaubt daran und zieht eure Wurzeln heraus. Macht euch frei. Gemeinsam werden wir dieses elende Krematorium hinter uns lassen und uns zurück holen, was von je her uns gehört. Uns, den Bäumen, den Hütern des Lebens und der Luft.”

“Das reicht jetzt.”. Rindertrotts ruhige Stimme zerschnitt die angespannte Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft.

“Rindentrott, willst du nicht auch, dass diese elende Quälerei endlich ein Ende hat? Willst du weiter

Untertan des Willens dieser Däumlinge bleiben?”

“Was ich will, ist einerlei, Freunde. Was wir wollen, ist Gerechtigkeit und Leben. Lasst euch bitte nicht täuschen. Zwar schein die Menschen alle Macht zu haben. Schließlich haben sie das Feuer und all die Maschinen. Doch erinnert euch, auf wem wir leben. Und wer das Feuer geschaffen hat. Für welchen Zweck, das weiß nur unser Planet selbst. Wir alle sind Kreaturen, die auf ihm leben und atmen und lieben und sterben dürfen. Lasst uns nicht denselben Fehler machen und aus Angst vor dem Ungewissen gegen unsere Natur handeln.”

Bedeutendes Rascheln, das Wasser im Fluss des Lebens schien in Zustimmung zu lallen.

“Es gibt Geschichten von wandernden Bäumen, ich kenne sie auch, Freunde. Und ich glaube auch, dass wir gehen können, jetzt sofort, hier, gemeinsam. Doch was meinen Glauben stützt, ist das Gleichgewicht und das Leben im Einklang mit dem Tod. Sterben wir, sterben die Menschen und die Tiere. Und dann beginnt alles von neuem.”

Rindentrott richtete seinen knochigen Blick aus einem seiner Astlöcher auf Flunz.

“Die Erfahrung des Lebens hast du noch nicht lange machen dürfen Freund Flunz, ich verstehe deine Wut über diese Ungerechtigkeit. Ich kann sie dir auch nicht nehmen. Ich kann dich und euch alle nur erneut um Geduld bitten.”

Die Stille, die folgte, währte lang. Die Bäume spürten dem Gesagten nach. Einige runzelten ihre Rinderbrauen, andere lächelten selig. Flunz grübelte und verblieb stumm. Niemand konnte sich vom Ort entfernen, also entfernten sich alle mit ihren Gedanken. Die Nacht ging über in eine strahlende Dämmerung. Einige der Bäume waren nicht mehr, ihr Stamm genauso verkohlt, wie noch vor ein paar Stunden. Der Unterschied war die fehlende Energie um die hässlichen Leichenteile. Oder kurz: sie waren tot. Rindentrott seufzte. Eine tiefe Grube verzierte den Platz östlich des verdurstenden Flusses. Flunz war fort.

Laura Booms:   -gehen

Es droht den meisten Menschenkindern zu entgehen, dass das In-Sich-Hineingehen-Können in seiner Wertigkeit die Waage halten sollte mit dem Aus-Sich-Hinausgehen-Können. Erst wenn diese beiden Fähigkeiten gleichwertig nebeneinander gehen, ist das Aufgehen und die Entfaltung eines Menschen erst möglich. Dies erlaubt es ihm dann wahrhaftig vor zu gehen, indem er nämlich das ganze Leben angeht mit all seinem Sein – ohne sich gehen zu lassen oder körperlich und seelisch kaputt zu gehen. Quasi wie eine Pflanze zu welken und am Ende Gefahr zu laufen ein zu gehen.

Es würde ihm besser ergehen, wenn er losginge und alle Geschmäcker des Lebens – ob bitter oder süß, sauer oder salzig – genussvoll auf seiner Zunge zergehen ließe und wenn er endlich aufhörte, zu weit zu gehen indem er das Verbrechen begeht, sich andauernd an anderen und vor allem an sich selbst zu vergehen.

Demnach besser auf sich und auf andere ein zu gehen, fällt dem Menschen manchmal schwer. Auch ist es für ihn oft nicht leicht zu wissen, wann der rechte Zeitpunkt gekommen ist, um wieder auf einander zu zu gehen, also dem anderen entgegen zu gehen. Oder wann es sogar am weisesten ist, ganz fort zu gehen. Das eigene Weggehen und auch das des anderen ist verzeihlich, doch das bewusste Sich-selbst-Fremdgehen, sowie das Übergehen seiner eigenen Bedürfnisse beutetet ein Zugrundegehen. Ein Zugrundegehen und somit ein Zurückgehen in einen schmerzvollen, selbst entfremdeten Zustand, in welchem er sich ohnmächtig fühlt und in welchem es ihm auch letztendlich nie gut gehen kann.

Der Schmerz jedoch wird vorbei gehen. Er wird vorüber gehen, wenn der Mensch lernt, eine Weile inne zu halten und ihn nicht ständig zwanghaft umgehen zu wollen. Ihm wird sonst irgendwann dabei die Kraft abgehen wenn es ihm nicht gelingt, dem Schmerz auf den Grund zu gehen, mit ihm mit zu gehen und sich ihm letztendlich hinzugeben. Manchmal muss der Mensch eben auf die Knie nieder gehen und seinen eigenen Stolz hintergehen um letztendlich heim gehen – also wieder in und zu sich selbst gehen! – zu können: Heim zu seinem immer-heilen Kern.

Der Mensch jedoch wird trotz all seines Fehlgehens nicht untergehen. Sein Licht wird nicht ausgehen, nur weil es manchmal in ihm schmerzt, er dann Angst hat, dass etwas schief geht oder er dann rat- und rastlos ist und nicht sicher gehen kann, wie es weitergeht. Doch dem Hinübergehen in die Erkenntnis, dass dieses Licht ewig leuchtet, dass es einhergeht mit der Dunkelheit des Schmerzes, muss die Bereitschaft vorangehen, zu akzeptieren und sogar zu lieben, was gerade vor sich geht. So bleibt die Seele offen und wird nicht zugehen, denn dies ist seit jeher des Lebens Weg:

Das Hinein- und Hinausgehen also. Aber auch das Hoch- und Runtergehen. Das Vorwärts- und Rückwärtsgehen. Das Hin- und Hergehen. Dies alles braucht es, um in der Welt als Menschenkind nicht drauf zu gehen.

Jacqueline Bieberstein:     Geboren, um zu leben

Das Universum ist still. Milliarden von Kosmen, friedlich und still. Ich sehe Planeten, Sonnen, Monde. Alle vollkommen in Harmonie. Sie drehen ihre Bahnen. Kommen und gehen. Ich sehe Leben. Nicht nur auf einem, sondern auf vielen. Ich beobachte es von meinem Platz im Universum. Meiner Sonne, meinem Zuhause. Hier arbeite ich, hier lebe ich. Doch es kam ein Tag, der war nicht, wie jeder andere zuvor. Und von diesem möchte ich euch Erdlingen erzählen.

Wie ihr sicher mitbekommen habt, bin ich kein gewöhnlicher Mensch. Nein. Ich sehe vielleicht aus wie einer und meine Behausung mag den komischen Klötzen ähneln, in denen ihr lebt. Aber bei meiner Sternschnuppe, so etwas wie mich habt ihr gewiss noch nie gesehen. Wenn ich mich beschreiben müsste, würde ich mir eine menschenähnliche Gestalt zusprechen, älterer Natur. Langer weißer Bart, meine Robe besteht aus dunklem Nachthimmel, schimmernd, wenn das Licht meiner geliebten Sonne im richtigen Winkel darauf trifft. Ach meine Sonne… ich schweife ab.

Also dieser besondere Tag, darauf wollte ich eigentlich zu sprechen kommen. Es war noch Nacht auf der Erde, jedenfalls auf dem Teil, der von Bedeutung in dieser Geschichte ist. Ich hatte schon seit Stunden Feierabend gemacht, als mich eine laute und eindringliche Stimme aus meinen Tagträumen hervorzerrte. Eigentlich war ich in Gedanken versunken gewesen und hatte meinem kleinen Gehilfen beim Schlummern zugeschaut. Doch nun saßen wir beide stocksteif da, als unser Meister zu uns sprach. »Methusalem, mein treuer Freund!«, donnerte die Stimme. »Auf Erden wart etwas Wunderbares geschehen.« Ich blickte in die weiten des unendlichen Universums. Sterne leuchteten, festgesetzt an der dunklen Finsternis. Zwischendurch leuchteten Streifen von Rosa, Violett und Orange. Mein wunderbares Universum war so riesig. Und nun war etwas auf der Erde geschehen? Beim Meister, ich kannte diesen Flecken kaum.

»Auf Erden? Seid Ihr sicher?«

»Sieh!«

Mein Gehilfe jauchzte und auch ich taumelte, als der Boden meiner terrassenähnlichen Behausung bebte und dabei das gewaltige Megaskop vibrierte, mit dem ich die fernen Welten beobachtete.

Unsicheren Schrittes schlich ich dort hin und wählte die Einstellung für »Erde«. Als ich hindurch blickte, ging mir ein Licht auf. Meine Augen wurden groß, während ich diesen blauen, eher unscheinbaren Flecken betrachtete. Als ich allmählich verstanden hatte, wandte ich mich suchend um. Den Meister hatte ich noch nie gesehen, aber ich wusste immer, dass er da war. »Was soll ich tun? Wie kann ich helfen?«

»Das, was du am besten kannst, Methusalem. Schmiede mir einen Stern, größer und schöner, als alle, die du je gefertigt hast. Und dann schicke ihn zur Erde. Sie werden wissen, was zu tun ist.« Dann war die Stimme meines Meisters verschwunden. Ich weiß noch, dass ich eine gefühlte Ewigkeit nur dort gestanden hatte, auf meiner Terrasse, die aus Sternenlicht und Kristallwolken bestand. Dann griff ich mir meinen Gehilfen von der Schulter und wirbelte ihn herum. Er sah aus, wie das, was ihr Erdlinge im weitesten Sinne als Katze bezeichnen würdet.

»Hast du das gehört, Azrael?«

Wenig begeistert schaute mich das kleine Helferlein an. Er hasste es, wenn ich ihn ganz offensichtliche Dinge fragte. Zumindest konnte er nicht reden, sodass ich immerhin von bissigen Antworten verschont blieb. Ich ließ ihn herunter und er tippelte hinüber in meine Schmiede. Ich warf noch einen Blick hinunter auf diesen kleinen unschuldigen Planeten. Dann nickte ich, krempelte meine nachtblauen Ärmel hinauf und trabte Azrael hinterher.

Azrael machte sich so gleich an die Arbeit und heizte den Brennofen an. Noch hatte ich Zeit, es war noch Nacht auf der Seite der Erde, die von Bedeutung war. Sogleich griff ich von einem kristallernen Tisch meinen Schmiedehammer. Er bestand aus einem Material, das ihr Erdlinge vermutlich nicht kennt. Es ist das reine Licht der Sonne, geformt zu hartem Metall, das Einzige, womit ich vermochte, einen Stern zu schmieden.

»Azrael! Mach das Netz bereit, wir fangen uns jetzt einen Asteroiden!«

Mein Gehilfe verdrehte nur die, wie grüner Smaragd glühenden Augen, weil ich diesen Satz jedes Mal von mir gebe, wenn wir einen Stern fertigen. Doch diesmal schwang mehr Begeisterung in meiner Stimme. Dies würde ein ganz besonderer Stern werden. Er tappste an unser Fangnetz und betätigte den Hebel, es spannte sich. Anschließend hoppste er auf den Stuhl und legte die behaarten Pfoten auf die Hebel, dann wartete er auf meine Anweisung. Ich griff mir die kleinere Ausgabe meines Megaskops und hielt Ausschau nach einem passenden Asteroiden. Es dauerte nicht lang, da erblickte ich
einen prächtigen Brocken.

»Dieser dort!«, rief ich meinem Gehilfen zu.

Azrael war flink wie eine Sternschnuppe und warf das Netz aus. Krachend erfasste es den Asteroiden und langsam zog meine geniale Maschine das Rohmaterial für den prächtigsten Stern, den ich jemals schmieden sollte, heran. Ich half Azrael, ihn auf meine Sonnenterrasse zu hieven und wir befreiten ihn vom Netz. Kühl war er, etwas rau und er roch nach Qualm.

Ich strich über seine Oberfläche, dann brachten wir ihn zum Brennofen. Dünne Flammenschweife züngelten von meiner geliebten Sonne herüber und gaben dem Ofen Hitze für meinen Stern. Auf eurer Welt hätte man am Morgen nun einen rot glühenden Sonnenaufgang gesehen. Ja, immer, wenn ihr einen solchen Sonnenaufgang seht, wisst ihr jetzt, dass ich einen neuen Stern schmiede.

Der Asteroid landete im Sonnenfeuer. Ich machte die Klappe zu und wir warteten ein paar Augenblicke. Anschließend nahm ich den glühenden Klumpen mit einer Zange heraus, legte ihn auf meinen Amboss und begann ihn mit meinem Hammer zu bearbeiten. Es hallte laut im Universum. Für mich war es laut, ihr Erdlinge hört so etwas nicht.

Azrael bemühte sich währenddessen den Ofen am Laufen zu halten. Es ging schneller diesmal, weil ich mir viel Mühe gab. Aber es dauerte nun einmal, bis ein Stern geboren werden konnte. Ich hämmerte und hämmerte, legte ihn zurück ins Feuer, wischte mir Wasser von der Stirn und hämmerte aufs Neue. Bis die Form perfekt war. Rund, eine dunkle Kugel reinen Steins. Jaja, ganz ruhig. Ich weiß, dass ein Stern leuchtet! Nur Geduld, die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende.

Wo war ich? Ach ja, die Form war perfekt, ich hatte mich selbst übertroffen! Zum Schluss, musste der Stern das Licht der Sonne trinken. Nur so würde er leuchten. Wie ich das mache?

Haha, ganz einfach. Mit meinem Rohstern in der Hand ging ich zu einer Art Katapult. Es war klein und in die stoffähnliche Halterung legte ich sanft mein Meisterwerk. Ich spannte und schoss den Stern direkt in die Sonne. Es gab einen Knall, so laut, dass Azrael die Ohren anlegte und die Schnauze verzog.

»Das wird der beste Stern, den ich je geschmiedet habe.«, sagte ich zuversichtlich zu meinem Helfer.

Dieser blickte mich nur stumm an. Naja, wie immer eigentlich. Aber ich wusste, dass er mir zustimmte. Also… bestimmt tat er das.

Es dauerte lang, aber ein helles Gleißen weckte mich bald aus meinem Gegrübel. Auf uns zu kam Etwas, das ich noch nie sah. Ein Stern, so klar und rein, dass es mir Tränen in die Augen trieb. Er verkörperte alles, was das Leben ausmachte. Obwohl er zu Beginn ein totes, stumpfes Ding war. Ohne Seele, ohne Atem.

Doch jetzt war er hier. Hier und Jetzt. Er war so groß, wie keiner meiner vorherigen Sterne. Sein Licht strahlte in alle Richtungen, er war wunderschön.

Ich streckte die Hände aus, leicht kam er in meinen Handflächen zum Liegen. Er war weder kalt noch heiß. Eher warm, leicht pochend, als hätte er einen Herzschlag. Gleißend hell, glänzend. Und er bewegte sich. Er war kein starrer Klumpen mehr, sondern etwas, das sich formen ließ. In die eine oder andere Richtung. So rein und schön konnte nur das Leben selbst sein.

Und plötzlich fühlte ich etwas Bedauern. Leben. Was war Leben? Manchmal frage ich mich, wie es gewesen wäre, ein Erdling wie ihr zu sein. Dort unten, festen Boden unter den Füßen. Einen Himmel, der blau war und nicht schwarz wie die Nacht. Andere um mich herum, nicht vollkommen allein zu sein. Oh nein, Azrael, so meine ich das nicht. Natürlich bin ich nicht vollkommen allein. Ich weiß, ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Sterne schmieden und durch sie, Hoffnung in alle Welten bringen. Ihr wollt den Rest der Geschichte erfahren, nicht? Nun gut.

Nachdem ich diese Kostbarkeit in den Händen gehalten hatte, schickte ich ihn zur Erde. Mit dem Katapult war er so schnell, dass er vor dem bloßen Auge verschwamm. Ein flammender Schweif bildete sich an ihm und er wurde kurzzeitig zu dem, was ihr Erdlinge als Sternschnuppe bezeichnet.

Ich lief zu meinem Megaskop und betrachtete die Reaktion der drei Alten, die den Stern erblickten, als dieser seine Position einnahm. Und ich sah ihnen noch eine Weile dabei zu, wie sie meinem wundersamen Werk bis hin zu einem ärmlichen Stall folgten. Zufrieden wandte ich mich Azrael zu.

Dieser sah ebenso aus wie ich wohl. Ich breitete die Arme aus und er sprang an mir empor, legte sich um meine Schultern. »Das haben wir gut gemacht, alter Freund. Lass uns ruhen bis zur nächsten Sternengeburt.«

Jacqueline Bieberstein:    Ich wollt, ich wäre du…

Ich wollt‘, ich wäre du, kleiner Vogel.

Du, der du in meinen Ästen säßest und mich mit deinem lieblichen Gesang wecktest. Du, der du mir mit deinen zarten Flügeln Luft zufächeltest. Wärst nicht starr, wärst nicht gefangen an einem Ort.
Wärst nicht gezwungen, immer das Gleiche zu sehen und zu erleben.

Ich wollt‘, ich wäre du, kleiner Vogel.
Ich wollt‘, ich wäre du, schillernde Raupe.

Du, die du die Hälfte deines Lebens als kleines grünes Etwas durch die Gegend streiftest und äßest, wonach dir der Sinn stünde. Du, die du dann in der zweiten Hälfte herum flattertest in den schillerndsten Farben. Wärst nicht gezwungen, Kleinere zu fressen. Wärst nicht braun, glanzlos und so ein langweiliger Spatz wie ich.

Ich wollt‘, ich wäre du, schillernde Raupe.
Ich wollt‘, ich wäre du, allmächtige Sonne.

Du, die du so weit oben über mir ständest, über Allem erhaben. Du, die meinen winzigen grünen Rücken am morgen wärmtest und einen rosa Schimmer über das Land zaubertest. Wärst nicht winzig und unbedeutend. Wärst nicht nur ein Staubkorn im ganzen Universum.

Ich wollt‘, ich wäre du, allmächtige Sonne.
Ich wollt‘, ich wäre du, starke Eiche.

Du, die du verwurzelt wärst so tief in der Erde, die ich so schätzte. Du, die du alles Lebende dort unten überragtes und doch Alles spürtest.Wärst nicht wie ich, ein einsames Licht in kalter Dunkelheit. Wärst nicht fern Allem, was sich bewegte.
Ich wollt‘, ich wäre du, starke Eiche.